3
Okt
2006

Das eigene Ende im Blick

Ich drücke auf den eingelassenen Knopf in der Wand und schaue dem Wasser in der Toilette hinterher, und tauche kurz aus meiner Gedankenwelt auf. Unwillkürlich huscht ein Lächeln über meine Lippen. Erwischt. Ich bin schon wieder beim Putzen in eine andere Welt abgetaucht. Es ist so eine elende Angelegenheit. Langweilig. Stupide. Ätzend. Immer wieder die gleichen Tätigkeiten, die automatisch ablaufen und mein Hirn in keiner Weise beanspruchen. Beim Putzen dringen meine Gedanken immer in andere Sphären vor.

Worüber habe ich gerade nachgedacht? Herbst. Irgendwie wabert gerade so eine herbstliche Atmosphäre durch die Blogs. Schwermut dringt durch. Einige finden den Herbst bedrückend. Ich überhaupt nicht. Ich liebe den Herbst. Wegen seiner Farbenvielfalt, aber noch viel mehr wegen der Frische, die er bringt. Endlich kann sich die Hirnmasse wieder entfalten, nach dem sie durch die Hitze auf ein Minimum zusammengeschrumpft ist.
Irgendwie habe ich ein eigenartiges Verhältnis zum Herbst. Obwohl in der Natur die Blätter abfallen, alles sich einem "Ende" zu bewegt, freue ich mich auf den Herbst. Für mich bedeutet er mental: Neubeginn. Mit dem frischen Wind, der mir draußen kräftig entgegenbläst, wird mein Geist lebendiger, ich werde wieder aktiver und will was "wegschaffen". Selbst zu diesem blöden Badezimmerputzen kann ich mich durchringen, obwohl dies mit Sicherheit der von mir am meisten gehasste Job ist.... Weiter gehts zur Duschkabine.

Melancholie - in den Blogs sprachen heute einige von der Melancholie des Herbstes. Diese Schwere nehme ich im Moment nicht wahr, obwohl auch mich schwere Gedanken dieser Tage treffen. Mein Opa, erkrankt an Lungenkrebs, feiert wahrscheinlich am kommenden Freitag seinen letzten Geburtstag hier auf unserer Erde. Schon im letzten Jahr haben wir "seinen" Tag gefeiert als ob es sein letzter Geburtstag wäre. Ihm wurde noch ein ganzes Jahr geschenkt. Aber dem Stadium seiner Krankheit nach zu urteilen, wird das jetzt mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich sein letzter Geburtstag sein.
Das war es dann - sein Leben, welches er hier leben durfte.

Endlichkeit.

Auch meiner Zeit hier auf Erden ist irgendwann ein Ende gesetzt. Vor etwa drei Jahren hat mich dieser Gedanke wie aus heiteren Himmel getroffen. Ich hatte entsetzliche Panik davor, eines Tages diese Welt hier verlassen zu müssen. Furcht hatte ich vor allem davor, dass es der einzige Schritt ist, den ich ganz alleine machen muss. Keiner wird mitgehen, keiner mir die Hand halten. Das Leben hier muss ich allein verlassen. Dieser Gedanke hat mich über Wochen verfolgt. Er hat mich gar nicht mehr losgelassen, und manchesmal habe ich es fast bedauert, dass ich mich vor meinen eigenen Gedanken nicht verstecken kann - Ignoranz ist nicht meine Stärke.

Vage spürte ich damals, dass in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, tiefe Erkenntnisse stecken, die mein Leben hier auf der Erden beeinflussen oder gar verändern können. Ich habe mich daraufhin viel mit meinem eigenen Tod auseinandergesetzt.
Dabei bin ich auf einen Vers in der Bibel gestoßen:

"So lehre uns denn zählen unsere Tage, damit wir ein weises Herz erlangen!"
Psalm 90,12

Der Mensch, der sich seiner eigenen Endlichkeit bewußt ist, ist dem Psalmisten nach weise. Ich vermute, weil er seine Zeit hier ganz anders ausnutzt.

Wie oft verschwende ich meine Zeit eigentlich mit nutzlosen Dingen?

Zum Beispiel diese Streifzüge durch die Bloggosphäre. Was verändert sich dadurch, dass ich hier und da lese. Nichts. Auch viele meiner Kommentare werden- kurz überflogen - in den Wirren des Webs verschwinden. Ich glaube nicht, dass das Bloggen wirklich Gewinn bringend ist. Es ist ein netter Zeitvertreib, aber mehr nicht. Und ich sollte mir dessen bewußt sein, dass ich wahrscheinlich Stunden über Stunden hier in diesem Raum verschwende. Wenn ich mich bewußt dafür entscheide, habe ich keine Bedenken, aber ich finde es sehr wichtig, den Einsatz meiner Zeit im Hinblick auf meine eigene Endlichkeit zu überprüfen. Hält mich das Bloggen vielleicht von Tätigkeiten ab, die weit wichtiger sind? .... Der Spiegel blitzt mittlerweile.

Ich hoffe, dass ich am Ende meines Lebens nicht mir selber eingestehen muss, dass ich meine Zeit nicht ausgekauft habe. Es gibt zu viele Projekte, die ich gerne anpacken möchte. Kleine und auch große Ziele, die ich eigentlich gerne verfolgen möchte.

Und wirklich nicht zuletzt ist dort noch meine kleine Familie mit der ich viel, sehr viel Zeit verbringen und jede Menge Momente gemeinsam genießen möchte. So wie eben gerade, als wir dem Kleinen Kerl endlich das Fahrradfahren beigebracht habe. Er hat's geschafft, nach einem Sommer üben. Was für ein Fest. .... Die Zahnbürsten in den Becher. Und fertig.


Weiter geht's.

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Aurisa - 3. Okt, 08:09

Was wir über den Tod denkt bestimmt, was wir über das Leben denken.
So oder ähnlich sinngemäß ein Zitat, bei dem ich leider nicht mehr weiss von wem es ist.
Jemand, der denkt, daß mit dem Tod alles vorbei ist wird anders leben als jemand der glaubt, daß es danach weitergeht.
Ja und das Bloggen... wichtiger ist die reale Welt da draußen, das darf man nie aus dem Blick verlieren, sich nicht in der virtuellen Welt des Web verlieren...
Schlimm wäre es, wenn man nur noch dort 'leben' würde...
Andererseits... mir zumindest hat es wirklich etwas gebracht, mir geholfen mit meinen Problemen klar zu kommen, mir die Möglichkeit gegeben über alles zu reden in Zeiten als ich im realen Leben (noch) niemand dafür hatte...
Für mich war es keine verschwendete Zeit hier zu sein... ohne Internet und die Menschen hier, ginge es mir heute ganz sicher wesentlich schlechter, wäre ich nicht annähernd so weit gekommen....
Und... ich glaube, daß nichts vergebens ist... daß nichts verloren geht...
Auch wenn man oft denkt die vielen Kommentare und Beiträge die man so schreibt seien in den Webwind geschrieben... alle finden ihre Leser... und werden sie und ihr Leben auf die eine oder andere Weise beeinflussen... wenn auch nur ein winziges bisschen...
Ich jedenfalls weiss, daß ich nicht umsonst im Internet schreibe...
Mir hat es weitergeholfen... und auch in den Herzen meiner Lesern habe ich Spuren hinterlassen... das darf ich wohl sagen ohne zu übertreiben...
Wer mir hier im Web begegnet ist - und das waren viele hundert Menschen im laufe der Jahre, die anonymen Leser, die sich nie geäußert haben nicht mitgerechnet - der wird in Zukunft anders über transsexuelle Menschen denken... allein dafür schon hat es sich gelohnt...
Nein, nichts was wir sagen und tun ist vergebens... daran glaube ich...
Viele Grüße
Aurisa

momente - 3. Okt, 13:03

Ich glaube, jeder von uns macht seine ganz eigenen Erfahrungen in den Blogs, und ich finde es schön für dich, wenn du Unterstützung und Hilfe weitergeben konntest oder gar empfangen konntest.

Ich hinterfrage gerne mein eigenes Tun und im Moment ist es wieder einmal Zeit, die Prioritäten festzulegen, um Zeit nicht zu "verdatteln".
Was aber wiederum auch nicht bedeutet, dass ich mich nicht doch ganz gerne in dieser kleinen, unseren Blogwelt aufhalte.

Lieber Gruß

momente
Raducanu - 3. Okt, 11:54

Vielen Dank für diesen wunderschönen Eintrag!

In diesem Zusammenhang vielleicht noch ein Lesetipp für die verregneten Herbstabende, der mir wirklich eine Herzensangelegenheit ist:
Sogyal Rinpoche Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben.

Ich wünsche Dir und all Deinen Lesern einen entspannenden Feiertag!

momente - 3. Okt, 13:04

Danke dir ...
und natürlich wünsch ich dir auch einen schönen, entspannten Feiertag. ;)
MephistoBS - 3. Okt, 12:24

"Der Sinn des Lebens erschließt sich einem, wenn man den Sinn des Todes erkennt.". Das Leben ist zeitlich begrenzt und du weißt nicht, wann es endet.

Wer schon einmal im Krankenhaus gelegen hat, die Blätter von den Bäumen fallen sah und nicht wußte, ob er das Grün noch einmal sieht, fängt an, sein eigenes Leben zu hinterfragen. Mich hat damals entsetzt, dass meine innere Stimme verzweifelt "zu früh!" schrie. Vermutlich ist es immer zu früh, ich überlege seitdem aber häufiger, was mir in meinem Leben wichtig ist und was nicht.

Wobei die Frage der Wichtigkeit von "Etwas" eine sehr persönliche Frage ist. Wer gerne bloggt, soll dies tun - andere werden dies für Zeitverschwendung erachten. Ich habe schon immer gerne geschrieben, früher für Zeitschriften, heute im Blog. Wenn es keinen Spass mehr macht, wird das Blog eingefroren oder geschlossen. Manch einer liebt sein Auto (mehr als seine Frau), meines kriegt einmal im Jahr die Salzabwaschwäsche, wenn ich dran denke.

Den folgenden Absatz bitte philosophisch interpretieren, nicht persönlich: Wie häufig putzt du den Spiegel, die Wohnung? Putzt du für dich oder für "andere", weil man es von dir erwartet? Wieviel machst du, weil man es von dir erwartet? Wieviel machst du, weil du es willst? Wenn man die Fragen ehrlich und schmerzfrei beantworten kann, ist man denke ich auf dem richtigen Weg.

Ich denke von Zeit zu Zeit an die Bäume, dessen Grün ich mir nicht mehr sicher war - es ist erstaunlich, wie wenig mein heutiges Leben mit dem damaligen noch gemeinsam hat.

momente - 3. Okt, 12:57

Lieber mephisto,
das ist der Tiefgang, den ich an deinen Kommentaren so mag.
Ich denke noch eine Weile nach und lasse deine Worte auf mich wirken.

Danke dir.
Chaot35 - 3. Okt, 13:12

was für ein wunderschöner blogeintrag.
aber ich werde an dieser stelle nicht weiter kommentieren, denn was ich dir dazu sagen möchte gehört nicht hier hin. bzw. hatten wir schon mal.

momente - 3. Okt, 13:24

Wenn du Zeit hast, darfst du gerne mal das Brett vor meinem Kopf wegnehmen. ;>
Chaot35 - 3. Okt, 13:30

für dich würde ich das jederzeit auch tun.
nur da ist kein brett, herzblatt:-)
Malte - 3. Okt, 17:49

Da kann ich mich anschliessen. Ein schöner Beitrag.

Ich weiss nicht, ob man am Ende seines Lebens noch die Zeit hat, sich Gedanken zum machen über Versäumtes. Fast alle älteren Menschen die ich kenne leben von Tag zu Tag, geniessen die Gegenwart. Und wenn sie von früheren Zeiten schwelgen, dann tönt das selten bedauernd, sondern stolz und lustig ;-)

momente - 4. Okt, 19:31

Den Tag genießen ist wahrscheinlich auch das Beste, was man im Alter machen kann. ;>
Sternenstaub - 4. Okt, 20:40

"An jenem Tage, der kein Tag mehr ist - vielleicht wird die Gottheit sagen:

Was tretet ihr an mit euren Körbchen voller Verdienste, die klein sind wie Haselnüsse und meistens hohl?
Was wollt ihr mit euren Taschen voller Tugenden, zu denen ihr gekommen seid aus Mangel an Mut, weil euch die Gelegenheit fehlte oder durch fast perfekte Dressur?
Habe ich euch davon nicht befreit?

Wissen will ich:

Habt ihr die anderen angesteckt mit Leben?"

Tja in diesem Sinne -

sternenstaubige Grüße

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