29
Okt
2006

Multikulti in Deutschland

Schweigend schauen wir immer wieder in den Raum und betrachten ungläubig die Kritzeleien an der Tafel: Ein Hakenkreuz und die Worte "Scheiß Türken".

Kann das sein? Hier bei uns im Kindergarten? Fremdenfeindlichkeit? Rassismus? Wir Eltern schauen uns ratlos an, versuchen unsere Betroffenheit zaghaft in Worte zu kleiden und langsam, aber sicher kommt die Wut hoch.
Irgendjemand ist in dieser Nacht in den Kindergarten eingestiegen. Der Einbrecher hat lediglich eine große Verwüstung hinterlassen, aber keine Wertgegenstände mitgenommen. Gar nichts.
Seit kurzer Zeit ist eine türkische Erzieherin angestellt. Sie steht ein wenig abseits und murmelt nur ganz leise: "Aber ich bin doch die einzige Türkin hier!" Betroffenheit. Und Schweigen. Das kann nicht wahr sein, das alles nur ihr galt.

Unser Kindergarten ist bunt, ja, hier treffen viele Nationalitäten aufeinander. Aber die Kinder stört es nicht, dass eine dunkler ist oder die Haare des anderen sich mehr kräuseln. Die Kinder nehmen sich nur als Kinder wahr. Als Junge und Mädchen. Die Unterschiede machen die Erwachsenen.

Der Elternrat trifft eine Entscheidung, will ein Zeichen setzen und der türkischen Mitarbeiterin zeigen, dass sie willkommen ist, sie auf jeden Fall weiterarbeiten soll, und schreibt ihr eine Karte.


In kurzen Gesprächen bitte ich nun die Eltern, sich diese Karte durchzulesen und dann selber in Ruhe zu entscheiden, ob sie unterschreiben möchten oder nicht. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich, wobei ich zugeben muss, dass auch ich zunächst ein klein wenig unsicher bin, wie ich die ausländischen Eltern ansprechen soll. Kann ich zu einer Türkin hingehen und sie um eine Unterschrift bitten? Wie fühlt sie sich dabei?
Bei der ersten türkischen Mutter zaudere ich. Bei der Zweiten fasse ich einen Entschluss: Nein. Sie soll wissen, dass wir Deutschen nichts gegen sie haben. Wir sind eine Gemeinschaft und auch sie gehört mit dazu.

Die deutschen Eltern unterschreiben direkt. Es ist wird gar nicht darüber diskutiert. Im Gegenteil, wenn dann gibt es nur Lob für diese Aktion.
Die Eltern mit anderer internationaler Herkunft reagieren sehr unterschiedlich:
Da gibt es die einen, welche sich an frühere Zeiten erinnern und erzählen: "Oh ja, ich habe auch Feindseligkeiten erlebt. Ich weiß, wie schwierig das ist, wie weh das tut. Aber ich bin da durch und habe heute meinen Platz gefunden. Natürlich setze ich meinen Namen auf die Karte."
Es gibt aber auch die anderen, die nicht unterschreiben, sondern sich wegdrehen und gehen. Und diese anderen - das finde ich sehr bitter - sind die, die sich immer isolieren, nur unter ihres gleichen leben und sich nicht an gemeinschaftlichen Aktivitäten beteiligen.


Das ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt unserer Gesellschaft, aber diese Erfahrung hat mich in meiner Meinung bestätigt:
Basis für ein multikulturelles Leben in Deutschland ist eine Sprache: Deutsch. Denn wie könnten wir sonst miteinander kommunizieren?
Und - ein multikulturelles Leben in Deutschland kann nur funktionieren, wenn wir uns gegenseitig mit unseren Traditionen und kulturellen Erbe nicht nur tolerieren, sondern vor allem akzeptieren. Es geht nicht nur darum den anderen stehen zu lassen in seiner Andersartigkeit; wir sollten uns viel mehr als gleichberechtigt verstehen, aufeinander im Gespräch einlassen, dann können wir auch trotz der unterschiedlichen Kultur miteinanderleben.

Der beste Freund von meinem Jüngsten ist im übrigen ein kleiner Türke. Ein ausgesprochen netter, aufgeschlossener Junge, kommt ganz nach seinen Eltern.
Wenn wir doch alle nur ein wenig mehr den anderen mit Kinderaugen sehen würden, es wäre um so vieles einfacher.

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Chaot35 - 29. Okt, 21:35

Schöner Beitrag mein Herz.
Das erinnert mich irgendwie an unseren alten Pfarrer hier in der Gemeinde. Alles sehr katholisch, aber er revolutionär. Das dahin geführt hat, das Leute die Kirche angesprüht haben mit "Zigeuner-Pfaffe, go home. Wir wollen dich hier nicht". Er hat es stehen lassen. Ganz demonstrativ. Ich fand das gut. Kommunikation ist alles!

momente - 29. Okt, 21:46

Der Pfarrer ist cool - und weise.
Paulaline - 29. Okt, 22:30

Ich bin sehr froh, dass wir solche probleme hier auf dem dorf nicht haben. was allerdings mehr daran liegt, daß wir hier sehr wenig ausländer überhaupt haben und sie sofort integriert werden irgentwie.
bei meinem lütten im kindergarten gibt es auch ein paar ausländische kinder und nun haben sie ein projekt angefangen, in dem sie um die welt reisen und dabei lernen, wie andere kinder auf der welt leben. wenn sie dabei in ein land reisen, aus dem ein kind herkommt, gehen manchmal die eltern dazu und erzählen aus dem land.
ich finde es toll, daß die kinder alles offen kennenlernen und wie du schon sagtest, sie haben die allerwenigsten probleme damit. wieso auch, sind ja nur auch nur kinder.

In meiner grundschulzeit haben wir damals unser "erstes ausländerkind" im dorf bekommen. er sprach gar kein deutsch und niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben. er war, bis er wieder wegzog, mein bester freund und ich habe noch sehr viele schöne erinnerungen an die zeit. vor kurzem habe ich ihn zufällig wieder getroffen und es war, als sei die zeit nie vergangen.
Als sein jüngerer Bruder fragte, wer ich sei, strahlte er mich an und sagte, "dass ist meine erste freundin gewesen. Sie hat mir Deutsch beigebracht"
Aber was ich eigentlich sagen wollte, seine Mutter hat für uns immer heiße Bananen gemacht und Tee. Richtigen (dünnen) schwarzen Tee. Das kannte ich vorher noch gar nicht und für mich war der Tee ein sicheres merkmal für Polen. Tja, noch heute, wenn ich schwarzen Tee trinke, denke ich an ihn und an sie und daß ich sehr froh bin, sie kennengelernt zu haben.

momente - 30. Okt, 08:36

Eine wunderbare Geschichte- so soll es sein!

Einfach miteinander leben!
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